Stadtplanung in der Milieublase

Vielleicht kennen Sie den Begriff „Filterblase“, der in letzter Zeit recht populär geworden ist, und häufig von den herkömmlichen, sogenannten „etablierten“ Medien aufgegriffen wird. Er beschreibt den Vorgang, dass Computeralgorithmen, sogenannte Filter, in Suchmaschinen oder Sozialen Medien eingesetzt werden, um dem Internetnutzer eine durch Vorselektion eingeschränkte Auswahl an Informationen zu zeigen, welche vornehmlich zu seiner bereits vorhandenen Weltanschauung passen. Damit würde der Internetnutzer von Informationen und Meinungen, die nicht seinem Standpunkt entsprechen, abgeschnitten, so dass er am Ende in einer sich selbst verstärkenden, isolierten Blase voller Vorurteile lebe.

Auch wenn sich dies sehr manipulativ, um nicht zu sagen geradezu gruselig anhört, und bei so manchem Angst vor dem Internet schürt, allerdings von den „etablierten“ Medien auch gezielt eingesetzt wird, um Ressentiments vor dem Konkurrent Internet zu erzeugen, so beschränkt sich dieser Vorgang keinesfalls auf den „Cyberspace“, sondern ist vom Kern her ein recht triviales, überall beobachtbares soziales Phänomen, das ständig im realen Leben um uns herum stattfindet. Wer kennt nicht die selektive Filterung von Informationen, die unser Gehirn ganz automatisch vornimmt, mit dem Ziel, einmal aufgenommene subjektive „Wahrheiten“ zu bestätigen. Und schließen wir alle uns nicht vornehmlich sozialen Gruppen an (Freundeskreis, Vereine, Berufsgruppen), die „zu uns passen“, und in denen wir, zusammen mit Gleichgesinnten, unsere vorgefassten Meinungen zelebrieren und damit verstärken können? Im Grunde genommen ist dies auch das Prinzip der Stammtischpolitik, wie sie sehr ausgeprägt in Bayern geradezu kultiviert wird, dort aber landläufig noch nicht einnmal als gefährlich gilt. Das Phänomen der Blase ist also seit jeher ein ausgeprägter Teil des realen menschlichen Lebens, und wird nicht so sehr vom Internet, sondern viel stärker vom sozialen Milieu geprägt, in dem man sich bewegt.

Milieublasen gibt es überall, und eine spezielle haben wir im Milieu der Stadtplaner und -entwickler wahrgenommen, in dem sich Architekten, Stadtplaner und Vertreter der Verwaltung  zusammenfinden, über städtebauliche Konzepte diskutieren und, was uns an dieser Stelle besonders interessiert, die städtebauliche Verträglichkeit von großen Gebäuden beurteilen.

Ein Hauptkritikpunkt der Anwohner, der bis zum Schluss der Bauleitplanung nicht berücksichtigt wurde, ist die enorme Breite und Höhe des zum Wingert gelegenen Pflegegebäudes, welches sich in keinster Weise in das Ortsbild einpasst. Platt gesprochen empfinden die Anwohner das Pflegeheim als „überbreiten, überhöhten, hässlichen Betonklotz, der die Gegend verschandelt und somit unzumutbar ist“. Und zwar unzumutbar sogar basierend auf gesetzlichen Grundlagen, dem §34 BauGB, dem zufolge sich Gebäude in die nähere Umgebung einzufügen haben.  Was für die Anwohner zumutbar ist, und was nicht, entscheiden aber – zum Glück für den Investor – nicht die Anwohner selber, sondern wird maßgeblich von den „Stadtplanern“ beeinflusst. Das sind im konkreten Fall der Gestaltungsbeirat, die Architekten und Stadtplaner des Investors und das Amt für Stadtentwicklung.

Hier ein paar Auszüge aus den Abwägungen der Verwaltung zum Thema Verträglichkeit des Pflegebaus:
Die Qualität des städtebaulichen Einfügens lässt sich nicht allein an Bauhöhen oder am Festhalten an vorherrschenden Dachformen festmachen. Der Planung liegt ein architektonisch-gestalterisches Gesamtkonzept zugrunde, dass eine differenzierte und höhenmäßig abgestufte Anordnung verschiedener Baukörper vorsieht, die auf die Umgebungsbebauung in angemessener Weise reagiert.

Aha, klingt ja logisch. Dass links und rechts und gegegenüber vom dreieinhalb-geschossigen Pflegebau die meisten Gebäude eingeschossig oder anderthalbgeschossig sind, unterschlägt der kluge Satz des Stadtplaners. Passt ja auch nicht ins Konzept. Oder:

Für das städtebauliche und auch mit Blick auf den Nachbarschutz verträgliche Einfügen sind jedoch mehrere Kriterien maßgeblich, z.B.:
· das städtebauliche Gesamtkonzept,
· die architektonische Gliederung des Baukörpers mit Vor- und Rücksprüngen, Fassadengliederung, Materialität etc.,
…..
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und in Abwägung der nutzungsbedingten und betrieblich-funktionale Anforderungen des Vorhabens kann dem Bauvorhaben keine städtebauliche Unverträglichkeit entgegengehalten werden.

So so, ein paar Vor- und Rücksprünge machen aus einem hohen Betonklotz, der alles überragt, also ein verträgliches Gebäude. Über diese, sicherlich nicht gerade geschäftsschädigende Ansicht, können die einzigen, die es eigentlich betrifft, die aber keinen Einfluss haben, nämlich die Anwohner, nur den Kopf schütteln. Diesem, unserer Meinung nach, „Neusprech“ können wir uns inhaltlich jedenfalls nicht anschließen. Am Wingert gab es wenigsten eine Bürgerinitiative, die darauf hingewiesen hat, wenn auch vergeblich. Die stadtplanerische Milieublase konnte zwar angestochen, aber nicht zum Platzen gebracht werden.

Selbstverständlich leben wir alle in unseren Blasen, auch die Bürgerinitiative, aber es ist schon grandios mit anzusehen, zu welchen Sprachkonstrukten das Milieu der Stadtplaner greifen muss, um ihrer Blase den Anstrich der objektiv vernünftigen Wahrheit zu geben. Wir als Bürger müssen nur lernen, diese Zusammenhänge zu verstehen und dürfen uns nicht von Worthülsen blenden lassen, sondern sollten mit klaren, einfachen aber bestimmten Worten gegen Unwahrheiten vorgehen. Denn wenn Viele die Zusammenhänge aussprechen und die Blase einmal zum Platzen bringen sollten, könnten alle sehen, dass sie in ihrem  tiefsten Innersten immer schon leer war.