Abwägungsfehleinschätzung in Verbindung mit § 12 Abs. 3a BauGB

An dieser Stelle möchten wir eine Einschätzung abgeben, wie die Bürgerinitiative, mit dem jetzigen Wissen, das sie leider erst ein gutes Jahr nach Verab­schiedung des Bebau­ungsplans (B-Plans), und damit zu spät, gewonnen hat, die rechtliche Lage rund um das Zustandekommen des B-Plans im Nachhinein beurteilt. Das Resultat vorweg: unserer Meinung nach liegt sowohl eine Abwägungs­fehl­einschätzung vor, die gegen § 2 Abs. BauGB verstößt, als auch eine daraus resultierende Abwägungs­dispro­portionalität, die gegen § 1 Abs. 7 BauGB verstößt.


Denn die Gemeinde hat in dem Abwägungsprozeß rund um einen Bebauungsplan alle „Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten“ und am Ende „gerecht abzuwägen“.
Hier wurde jedoch ein gravierender Fehler begangen, der sich in Kurzform wie folgt darstellt: Da unser B-Plan ein vorhabenbezogener Bebauungsplan ist, der sich auf § 12 Abs. 3a BauGB stützt, welcher ausdrücklich allgemein gehaltene B-Pläne in Verbindung mit Änderungen am Durchführungsvertrag zulässt, hätte der Rat ALLE durch den reinen Bebauungsplan ermöglichten Vorhaben, und nicht nur das im jetzigen Durchführungsvertrag konkretisierte, abwägen müssen. Das hat der Rat aber ausdrücklich und nachweisbar nicht getan, denn in den Erwiderungen zu den Eingaben aus der Öffentlichkeitsbeteiligung, denen der Rat im formalen Verfahren der Bauleitplanung zugestimmt hat, wird an sehr vielen Stellen auf die konkrete Ausgestaltung des (bei Verabschiedung gültigen) Durchführungsvertrags Bezug genommen, wodurch sich die Abwägung gerade NICHT auf alle durch den B-Plan ermöglichten Vorhaben erstreckt. Daher denken wir, dass ein Fehler im Ergebnis der Bauleitplanung vorliegt.

Zur weiteren Erklärung hier die (lange) Langfassung:
Bei uns wurde ein vorhabenbezogener B-Plan (VB) nach §12 BauGB verabschiedet, wobei im Speziellen auf § 12 Absatz 3a BauGB Bezug genommen wird, was im folgenden ein sehr wesentlicher Aspekt sein wird.
Generell besteht ein VB zwingend aus drei Teilen:
1. dem vorhabenbezogenen B-Plan
2. dem Vorhaben und Erschliessungsplan (bei uns 2 Blätter)
3. dem Durchführungsvertrag

Allerdings werden nur die Teile 1 und 2 Bestandteil der Satzung, und damit zu „Ortsrecht“. Der Durchführungsvertrag hingegen kann relativ einfach, alleine durch die Gemeinde ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, geändert werden, da er eine Spezialform des „städtebaulichen Vetrags“ ist, der nur die beiden Vertragspartner, Stadt und Vorhabenträger (hier die DüGü GmbH), bindet.

Soweit, so gut. Um den VB vom „normalen“ (angebotsorientierten) B-Plan abzugrenzen, hat der Gesetzgeber die Aufstellung eines VB sehr eng an ein ganz konkretes Vorhaben geknüpft. Es müssen also zwingend Festlegungen getroffen werden, die auf ein konkretes Vorhaben abzielen!  Vormals war es so, dass alle Konkretisierungen im B-Plan (nicht jedoch im Durchführungsvertrag) stehen mussten. Das machte die Handhabung von vorhabenbezogenen B-Plänen aber „unflexibel“, weil ein einmal gefasster B-Plan formal nur schwer, in einem langwierigen Verfahren, zu ändern ist. Auch gab es Kommunen, die den Fehler machten, einen sehr allgemeinen, vom Wesen her angebotsorienterten B-Plan zu erstellen, den sie einfach „vorhabenbezogenen B-Plan“ nannten. Diese B-Pläne wurden im Streitfall von den Gerichten kassiert!

Nun wollte der Gesetzgeber es aber ermöglichen, dass auch vorhabenbezogene B-Pläne FLEXIBEL sein können, und hat deswegen nachträglich § 12 BauGB um Absatz 3a ergänzt, quasi als neue, alternative Option, wie vorhabenbezogene B-Pläne gestaltet werden können.

Um das zu verstehen, sehen wir uns § 12 Abs. 3a BauGB  im Wortlaut an:
(3a) Wird in einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan für den Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans durch Festsetzung eines Baugebiets auf Grund der Baunutzungsverordnung oder auf sonstige Weise eine bauliche oder sonstige Nutzung allgemein festgesetzt, ist unter entsprechender Anwendung des § 9 Absatz 2 festzusetzen, dass im Rahmen der festgesetzten Nutzungen nur solche Vorhaben zulässig sind, zu deren Durchführung sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet. Änderungen des Durchführungsvertrags oder der Abschluss eines neuen Durchführungsvertrags sind zulässig.

Absatz 3a zielt also darauf ab, dass man im vorhabenbezogenen B-Plan nun auch lediglich ALLGEMEINE Festsetzungen machen kann, die ein Vorhaben gar nicht abschliessend konkretisieren. Z. B. durch eine allgemeine Festsetzung des Baugebiets, wobei „Baugebiet“ nach BauNVO begrifflich nicht die bebaubare Fläche, sondern Nutzungsarten wie z. B. „allgemeines Wohngebiet“ etc. meint. Wendet man 3a an, dann MÜSSEN aber die Festsetzungen, die das Vorhaben konkret beschreiben im Durchführungsvertrag getroffen werden!
Kurz gesagt: Absatz 3a verschiebt die – nach wie vor notwendige – Vorhabenbezogenheit vom B-Plan auf den leichter zu ändernden Durchführungsvertrag. Das ist Sinn und Zweck von Absatz 3a!

OK, JETZT KOMMT ABER DER HEIKLE ASPEKT:

Man macht VB’s nicht nur, um es Investoren zu ermöglichen, ein konkretes Vorhaben zu realisieren, sondern auch um den politischen Abwägungsprozess (einfacher) zu gestalten. Es macht ja einen Unterschied, ob ein Gemeinderat alle möglichen Auswirkungen eines allgemeinen B-Plans, oder nur die Auswirkungen eines konkreten Vorhabens abwägen muss. Wählt man jedoch, wie bei uns, die variable „3a Variante“, so muss, Zitat der Fachanwältin Dr. Cornelia Wellens (nachzulesen HIER), im Abwägungsprozess folgendes erfüllt sein:
Wichtig ist zudem, dass bei Anwendung des § 12 Abs. 3a BauGB die allgemeine Festsetzung, also einschließlich ihrer Spielräume, Gegenstand der Abwägung sein muss. Die Abwägung darf nicht auf die Konkretisierungen im Vertrag beschränkt werden.

Berufen kann man sich dabei auf den Mustereinführungserlass zum BauGB 2007: „Da ohne eine erneute Planänderung alle Nutzungen zulässig sein können, die von der allgemeinen Festsetzung des Bebauungsplans erfasst werden, müssen diese Nutzungen insgesamt Gegenstand des Bebauungsplanaufstellungsverfahrens sein. Das bedeutet, dass die Gemeinde wie bei einem entsprechenden Angebotsbebauungsplan alle abwägungserheblichen Auswirkungen aller nach der Planung zulässigen Nutzungen in ihre Abwägung einbeziehen und einen entsprechenden Umweltbericht erstellen muss.

Da kann man sich beim VB „Am Wingert“ die Frage stellen: hat der Rat im Abwägungsprozess wirklich alle möglichen Auswirkungen bedacht, oder nur auf den Durchführungsvertrag abgezielt? Schaut man sich die Erwiderungen zu der Öffentlichkeitsbeteiligung an, so muss man zu dem Schluss kommen, dass der Rat nur unter Bezugnahme auf den konkreten Durchführungsvertrag abgewogen hat, denn in den Abwägungen wird an sehr vielen Stellen gerade und wortwörtlich auf den Durchführungsvertrag Bezug genommen. Daraus ziehen wir den Schluss, dass die Abwägung nur für diesen speziellen Durchführungsvertrag getroffen wurde, was somit einen gravierender Fehler darstellen würde.

Zur Anschauung, was wir meinen, ein Beispiel:
Ein Bürger schreibt in seinen Eingabe folgendes: „Da der Durchführungsvertrag nicht Bestandteil der Satzung wird (siehe § 12 BauGB), regen wir an, so viele Klauseln wie möglich direkt in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufzunehmen, um nachträgliche Änderungen zu erschweren. Der Durchführungsvertrag kann nämlich nach § 12 BauGB Abs. 3a nachträglich geändert oder sogar neu abgeschlossen werden.
Antwort in der Abwägung: „Der Durchführungsvertrag wird Bestandteil des Vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Dies ist auf der Planurkunde auch entsprechend ausgewiesen. Wesentlich ist, dass Änderung nicht einseitig vom Vorhabenträger vorgenommen werden, sondern immer nur in Abstimmung und mit Zustimmung mit der Stadt. Der Anregung wird nicht gefolgt.