Unnötig nötige Pflegeplätze in Gürzenich

Betrachtet man den Standort des geplanten Pflegeheims Am Wingert, so mag man sich die Frage stellen, wie sinnvoll die Errichtung eines weiteren Pflegeheims gerade in Gürzenich ist. Zwar ist Gürzenich ein Stadtteil mit einem vergleichsweise hohen Anteil älterer Bewohner, allerdings gibt es am Dürener Weg, nur wenige hundert Meter entfernt, schon das große AWO Seniorenheim, welches nicht einmal voll ausgelastet ist (stand Ende 2016). Trotzdem musste sich die Bürgerinitiative von Politik und Verwaltung die Kritik gefallen lassen, dass gerade der Standort in Gürzenich ideal wäre, um eine wohnortnahe Versorgung von Senioren zu garantieren.  Ebenso würden in Düren, wegen des „demografischen Wandels“, generell mehr Pflegeplätze benötigt. Das sind zunächst einmal starke Behauptungen. Aber lassen sich diese auch nachhaltig durch Zahlen belegen?

Aufschluß  über die Faktenlage erhält man, wenn man das Pflegebedarfsgutachten des Kreises Düren studiert. Eine verbindliche Pflegebedarfsplanung wurde im Kreistag erstmalig 2016 beschlossen und im Oktober 2017 fortgeschrieben.

Eine Übersicht über die Versorgungsquoten im Kreisgebiet ergibt folgendes Bild:

 

Zur Erklärung muss bemerkt werden, dass die Quoten im obigen Bild die Anzahl an Pflegeplätzen pro 100 Ältere ab 80 Jahren angeben. Eine Quote von z. B. 20,0 bedeutet also nichts anderes, als dass es für 20 % aller ab 80-jährigen einen stationären Pflegeplatz gibt.

Die durchschnittliche Versorgungsquote des Kreises Düren liegt mit 20,1 deutlich über dem Zielwert (19,0), dem Landesdurchschnitt (15,4) und dem Bundesdurchschnitt (18,3). Sie ist also bereits zu hoch. Aber, sehr erstaunlich, es befinden sich sogar noch 638 weitere Plätze in Planung, wie z. B. das besagte Pflegeheim Am Wingert. Sind alle geplanten Plätze realisiert, ergibt sich ein stolzer Wert von 24,5 Plätzen je 100 Ältere über 80. Von einer Knappheit an Pflegeplätzen kann, bezogen auf das Kreisgebiet, also gar keine Rede sein, eher von einer Überversorgung. Bedenklich, wenn man berücksichtigt, wie kostenintensiv stationäre Pflege für die Kommunen ist.

Interessant ist es auch, die Verteilung der Versorgungsquoten innerhalb des Kreisgebietes zu betrachten. So gibt es Gemeinden mit einer (viel) zu hohen Versorgungsdichte und Gemeinden mit einer zu niedrigen. Dies widerspricht vom Grundsatz her dem Gedanken der „Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung“, wie sie vom Pflegebedarfsgutachten gefordert wird. So ist das Stadtgebiet Düren, in welchem auch Gürzenich liegt, mit einer Quote von 21,6 bereits jetzt überversorgt. Und gemäß Pflegebedarfsgutachten 2016 sind sogar noch 240 zusätzliche Plätze in Stadt DN in Planung, was die Quote auf 27,5 hochschnellen lässt (Quelle: Pflegebedarfsgutachten Kreis Düren 2016).

Was bedeuten diese Zahlen aber nun für die unterversorgten Gemeinden? Jedenfalls nichts Gutes. Aufgrund der kreisweiten Deckelung der Anzahl der Pflegeplätze auf den Kreisdurchschnitt werden diesen Kommunen nämlich daran gehindert, lokal dringend benötigte Pflegeplätze in den Ortschaften zu schaffen. Man kann es auch so ausdrücken: die überversorgten Gemeinden rauben den unterversorgten Gemeinden die Möglichkeit, eine wohnortnahe stationäre Pflegeversorgung aufzubauen. Und genau dies veranlasste auch einige Bürgermeister dazu, beim Kreis zu intervenieren. Hier ein paar Statements aus unterversorgten Gemeinden (Quelle: Ratsinfosystem Kreis DN):

  • Axel Buch, Bürgermeister von Hürtgenwald: „Dadurch würde die Gemeinde Hürtgenwald gegenüber dem Kreisdurchschnitt benachteillgt. Gerade bei der vollstationären Pflege zeigt die Erfahrung, dass eine wohnortnahe und damit vertraute Umgebung für die Pflegebedürftigen eine hohe Bedeutung besitzt.
  • Jörn Langefeld, Bürgermeister von Inden: „Aufgrund der besonderen Lage von Inden mit Tagebau und zukünftigem Restsee ist die Gemeinde aus Richtung Düren, Niederzier und Südkreis teilweise nur sehr schwierig zu erreichen. Die dort vorhandenen Pflegeplätze können daher nicht so einfach zur Deckung des Bedarfs in der Gemeinde Inden herangezogen werden. Aus diesem Grund sind diese vier zusätzlichen Plätze zur Deckung des Bedarfs an vollstationären Plätzen in der Gemeinde Inden mit berücksichtigt und in die Planung einzubeziehen, wobei selbst mit diesen vier Plätzen keine ortsnahe Versorgung der Bevölkerung erreicht wird.
  • Ingo Eßer, Bürgermeister von Kreuzau: „Ebenso verhält es sich für den Bereich der vollstationären Pflege. Hier stehen bei der drittgrößten Kommune im Kreis Düren nur 44 Plätze zur Verfügung. ln der Betrachtung des Wertes je 100 Einwohnerlnnen ab 80 Jahren liegt die Gemeinde Kreuzau damit weit hinter allen anderen aufgeführten Kommunen. Bei der Aussage, dass weitere 638 Plätze kreisweit geplant sind, wird sich dieser Wert aus Sicht der Gemeinde Kreuzau nochmals deutlich verschlechtern, da nach aktuellem Kenntnisstand für Kreuzau keine zusätzlichen Plätze geplant sind. Selbstverständlich muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass grundsätzlich alle anderen Möglichkeiten der vorstationären Pflege ausgeschöpft werden, bevor die kostenintensive stationäre Pflege in Anspruch genommen wird, jedoch müssen betroffene Bürgerinnen und Bürger aus Kreuzau meist in die Nachbarkommunen ausweichen.

 

Die Bürgerinitive jedenfalls zieht daraus folgende Schlüsse:

  1. Das Pflegeheim Am Wingert wird gar nicht benötigt, sondern erhöht noch die bereits bestehende Überversorgung im Kreis und insbesondere in Düren Stadt.
  2. Der Standort Am Wingert ist für ein Pflegeheim ungeeignet, da er die Möglichkeit der „wohnortnahen Versorgung“ für andere Kommunen untergräbt.

Mit Politik und Verwaltung haben wir über all‘ diese Fakten diskutiert, stießen dabei aber auf taube Ohren. Wir hatten den Eindruck, dass ein weiteres Seniorenheim in Gürzenich aus uns unbekannten Gründen ganz einfach „politisch gewollt“ war. Besser aufgehoben wäre es eigentlich in Hürtgenwald, Inden oder Kreuzau. Nun, dann müssen die Senioren dieser Ortschaften eben nach Gürzenich ziehen. Kleiner Seitenhieb am Rande: Hoffentlich kommen die besuchenden Angehörigen aus Hürtgenwald, Inden und Kreuzau dann auch wirklich zu 35 % mit ÖPNV oder zu Fuß nach Gürzenich, so wie es das Verkehrsgutachten angenommen hat. Realistisch? Dies wiederum ist ein anderes Thema, aber es hängt doch Alles mit Allem zusammen.